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Wilhelm Rieber beherrscht als einer der wenigen Uhrmacher auf der Welt den Bau von Tourbillons
Das Mekka wahrer Uhrenliebhaber liegt nicht in der Schweiz. Es findet sich im 20-Seelen-Dörfchen Neuweiler bei Albstadt auf der Schwäbischen Alb. Hier fertigt Uhrmachermeister Wilhelm Rieber wertvolle Tourbillons in reiner Handarbeit – CNC-Maschinen sind in seiner Werkstatt unerwünscht.
Da liegt er, sein Mount Everest. In einer Schatulle hat er ihn aufbewahrt. Schön ist er sowieso, doch sein wahrer Wert liegt im Detail. Was die Taschenuhr von Wilhelm Rieber so besonders macht, ist die wohl anspruchsvollste Technik, die das Uhrmacherhandwerk kennt: das Tourbillon, 1800 von Abraham Louis Breguet erfunden, um den Einfluss der Schwerkraft auf die Ganggenauigkeit auszugleichen.
1984 hat Rieber, damals frisch gebackener Meister, sich herangewagt an diese wohl größte Herausforderung seiner Zunft. „Ich wusste damals nicht, worauf ich mich da einlasse“, sagt der 49-Jährige heute und lacht. „Ich wollte einfach das Schwierigste machen, das es gibt auf der Welt.“
Das war einfach zu finden: ein Taschenuhr-Tourbillon, von Hand gebaut aus selbst gefertigten Einzelteilen. Was das bedeutet, vermag der Laie sich nur ansatzweise vorzustellen. Unglaublich filigran und komplex ist die von Breguet erfundene Vorrichtung, die sich – in die Unruh eingebaut – einmal in der Minute um die eigene Achse dreht, um so die Auswirkungen der Gravitation zu überwinden.
Verbessert wurde diese Konstruktion vom sächsischen Uhrmachermeister Alfred Helwig. Nach seiner Lehre wird das Tourbillon fliegend gelagert, also ohne fixierende Metallbänder. Klingt kompliziert? Ist es auch, selbst für den Fachmann: „Das lag vor mir wie der Mount Everest“, sagt Rieber.
Talent allein genügt nicht
Nun, er hat seinen Berg erklommen, vier Jahre hat es gedauert. Und dabei war die Ankunft auf dem Gipfel erst der Beginn eines weiten Wegs. Heute, viele Jahre später, ist Rieber da angekommen, wo er hinwollte: Er hat jüngst seine Reparaturwerkstatt geschlossen und konzentriert sich nun ganz auf das, was er am liebsten tut: Tourbillons bauen, Armbanduhren inzwischen, aber nach wie vor strikt von Hand.
Nur eine Handvoll Menschen auf der Welt beherrschen den Bau dieser Uhrenart, und auch von ihnen unterscheidet sich der Schwabe. Denn wenn Handarbeit anderswo nur die Montage meint, ist eine echte Rieber-Uhr durch und durch vom Meister selbst gemacht – nur Zifferblatt und Gehäuse lässt er anliefern.
Viele mögen das nicht glauben, sagt Rieber und erzählt von einem Journalisten, der in seiner Werkstatt nach der CNC-Maschine Ausschau gehalten hat – vergeblich. Rieber entwirft am Reißbrett statt am Rechner, und seine wichtigsten Werkzeuge sind nicht teure Maschinen, sondern Hände und Augen, und so war die beste Investition die in seine Ausbildung. Sein Handwerk hat Rieber an der staatlichen Uhrmacherschule Furtwangen gelernt, zum Meister ist er an der Feintechnikschule in Villingen-Schwenningen geworden.
Sein großes Talent zeigte sich schon früh: 1977 gewann Rieber als Bundessieger den Praktischen Leistungswettbewerb. Dass er Uhrmacher werden würde, wusste er schon immer, das Handwerk hat in seiner Familie eine 200 Jahre alte Tradition. „Der Erste war Spielmann und Uhrenschmied“, erzählt er. Nur Tourbillons – die beherrschte vor ihm keiner.
Für die Königsdisziplin im Uhrenbau braucht man ganz klar Talent, sagt Rieber, „aber Talent alleine genügt nicht. Ohne handwerkliche Ausbildung geht nichts.“ Ebenso wichtig ist Erfahrung. „Man muss spüren, was richtig ist“, sagt Rieber, der häufig nicht einmal seine Drehbank braucht: Selbst winzige Löcher von einem halben Millimeter bohrt er gern auch mal von Hand mit seinem „Stiftenklöbchen“ genannten Werkzeug.
So viel Können lassen sich seine Kunden etwas kosten, ab 100.000 Euro ist eine echte Rieber zu haben – nach oben ist die Preisliste offen. Ein halbes Jahr braucht der Uhrmachermeister für eine Uhr. Ist sie fertig, baut er sie noch einmal auseinander und wieder zusammen, um zu testen, ob perfekt ist, was perfekt sein muss. Hetzen lässt sich Rieber nicht; seine betuchten Kunden müssen geduldig sein. Der Lohn ist eine Uhr, wie es sie selten gibt.
22 Stücke wird er insgesamt in seinem Uhrmacherleben schaffen, schätzt Rieber. Wer eines besitzt, kann durch das durchbrochene Zifferblatt den Blick auf das Tourbillon und seine schwingenden Rädchen genießen – Schönheit in Perfektion. Wenn ein Kunde das zu schätzen weiß, macht er den Meister damit glücklich: „Würdige Träger zu finden, das ist mein größter Herzenswunsch.“
Ein bisschen haben die würdigen Träger aber auch ihn gefunden. Ein Rieber-Tourbillon, ausgestellt beim Reutlinger Juwelier Lachenmann, machte den Luxus-Automobilhersteller Maybach auf die Kunst des Uhrmachers aufmerksam, seither fertigt er das exklusive Maybach-Tourbillon. Und spätestens seit Formel-1-Manager Willi Weber bei Rieber gleich zwei Uhren bestellte, geht auch die Presse in der kleinen Werkstatt ein und aus.
Bald müssen Journalisten und Kunden allerdings eine andere Route fahren, denn Rieber wird mit seiner Familie an den Chiemsee ziehen und seinen Traum verwirklichen: Ein Haus, das auf einem Stock Werkstatt, Schauraum und Wohnen vereint und überall geprägt sein wird von dem, was Rieber sein Leben nennt – das Tourbillon. Dort kann er dann Kunden aus aller Welt empfangen, denn Rieber ist längst nicht mehr nur in Europa ein Name; zurzeit arbeitet er an einer Uhr für einen Kunden aus Singapur. Der ist übrigens ganz nach Riebers Geschmack: Fast täglich erkundigt sich der Manager nach seinem guten Stück – "ein Mann mit Sinn für das Außergewöhnliche", ganz, wie es der Meister mag.
Deutsche Handwerks Zeitung, Nr. 15/16
Ausgabe vom 10.08.07