Titel Stanze

TG-Schüler bei der Lesung von "Der Katzenkönig"

Der Autor Rainer Wochele (links) und Sven Baumgardt von der Stadtbibliothek im Carl-Haag-Saal

Jedes Jahr finden im Oktober die Fredericks-Wochen statt. Diese Aktion soll das Interesse von Jugendlichen an Literatur anregen und wird vom Esslinger Friedrich-Bödecker-Kreis maßgeblich organisiert und finanziert. Am 28. Oktober war es für gut fünfzig Feintechnikschüler, für zwei Klassen des Technischen Gymnasiums so weit.

Der Blick durch das riesige, gut fünf Meter breite Fenster im Carl-Haag-Saal der Stadtbibliothek auf die belebte Fußgängerpassage war durch einen dichten braunen Vorhang verhängt, so dass nichts von dem in herbstlich schicke Farben und elegant gekleideten Herrn davor ablenkte. Er schaute mit wachen Augen in die Runde – und von zwei auf einem Lesetischchen aufstellten Büchern strahlten zwei Katzenaugenpaare die Zuhörer an.

Sven Baumgardt, in der Bibliothek zuständig für die Leseförderung, begrüßte den Autor Rainer Wochele und freute sich auf eine „spannende Stunde“ mit einer Lesung aus der Erzählung „Der Katzenkönig“.

Mit angenehmer, resonanzreicher Stimme begann Rainer Wochele zu lesen, und da wurde es tatsächlich gleich spannend, der Text geht nämlich „medias in res“, überlässt es etwa dem Leser, zu erkennen, dass Sauerbruch eine Katze und König ein Fahrradfahrer ist. Der Hörer taucht ein in den Alltag von einem sonderbaren Mann, Dr. Karlheinz König, der in der Pharmaindustrie gearbeitet hat und nun davon lebt, Besitzern ihre verloren gegangenen Katzen zurückzubringen, wobei er auch ohne Skrupel Katzen umfärbt und nebenbei das auf einem Tischchen liegende Geld für die Putzfrau nicht verschmäht. Was schelmisch und nur ein bisschen kriminell begann, gesättigt mit Stuttgarter Impressionen, wird schließlich auch eine bitterernste Geschichte über ein oft verschwiegenes Thema, die schrecklichen Tierversuche in der Pharmaindustrie – und auf dem Buchumschlag erkennt man nun in den Katzenaugen zueinander platzierte Pillen…

Im anschließenden Gespräch wurde Rainer Wochele gefragt, wie er denn zum Schreiben gekommen sei. Durch den Vater, war die Antwort. In der aus dem heute tschechischen Brünn stammenden Flüchtlingsfamilie habe es wenig zu essen gegeben, nur wenige und schlechte Kleider, aber viele Geschichten. Und ein Englischlehrer habe ihn bestärkt, selbst zu schreiben. Es folgten erste Geschichten in der Schülerzeitung, Studium, ein Volontariat bei einer Kölner Zeitung und viele Jahre die Tätigkeit eines Journalisten bei der „Stuttgarter Zeitung“. Doch von der Literatur konnte er nicht lassen. Nachdem der Versuch, halb als Journalist und halb als Autor zu arbeiten, sich als nicht praktikabel erwiesen hatte, wagte er den Sprung in das freie Schriftstellerdasein. Leben könne er wie die meisten Autoren von seinen Büchern nicht, deshalb müsse er immer auch noch anderes tun, aber es gelinge ihm, regelmäßig vormittags in seinem Büro zwei bis drei Stunden an literarischen Texten zu arbeiten. – Ob er schon einmal an einem Punkt angelangt sei, an dem er ein Buch nicht habe weiterschreiben können? Er habe einige Strategien der Selbstüberlistung, wenn er etwa die letzte Passage des vorigen Tages noch einmal neu schreibe, komme er meist über die Grenze zwischen Altem und Neuem hinweg. – Habe er eine Lösung für die Probleme, von denen seine Bücher handeln? Nein! Literatur stelle Fragen, stelle differenziert Probleme dar, wende auch den Blick von Scheußlichem nicht ab, wie von Tierversuchen oder wie von den Schädelbergen, die er bei den Recherchen für sein Buch „Der General und der Clown“ gesehen habe. Dort gehe es um den Völkermord in Ruanda, Millionen Menschen seien abscheulich massakriert worden; den Schädeln in einer Gedenkstätte sehe man die Machetenschläge an, doch als Autor sage er sich: „Du musst hinschauen, selbst wenn es dich zu Tode erschreckt.“

Für welche Altersklasse denn seine Bücher geschrieben seien? Für alle Leser! Er schreibe mit einem vagen Gegenüber im Kopf, rede innerlich auf jemanden hin, sei aber nicht zielgruppenorientiert. Auch junge Menschen könnten seine Bücher lesen. Und stiftete ein Exemplar des „Katzenkönigs“ für die Schulbibliothek.

Ein langer Applaus dankte für die interessanten Einblicke in ein Buch und ein Leben.

 

Text: Martin Kusch und Lorenz Sarter, Schüler der 13. Klasse des Technischen Gymnasiums

Foto: Clemens Kleijn